BeiratAktuell 56
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den, wenn dieser zwar mit großer Mehr- heit gefasst wurde, es sich aber nicht um eine Vollversammlung handelt? Zudem stellt sich die Frage, wer dann überhaupt im Vorfeld der Beschlussfassung prüft, ob und gegebenenfalls welche Eigentümer möglicherweise benachteiligt und daher zustimmungspflichtig sind und welche gegebenenfalls nicht? Aufgrund der be- stehenden Rechtsunsicherheit und dem sich hieraus ergebenden Haftungsrisiko wurdeVerwaltern daher empfohlen, jeden nicht mit 100% aller möglichen Stimmen gefassten Beschluss über die Genehmi- gung baulicher Veränderungen als abge- lehnt zu verkünden. Demnach war die Genehmigung bauliche Veränderungen rechtlich de facto nicht mehr möglich. 3. Die Entscheidung des BGH Der BGH entscheidet zunächst, dass es Sache des Verwalters ist, imVorfeld einer Beschlussfassung über die Genehmigung einer baulichenVeränderung des Gemein- schaftseigentums zu prüfen, ob und ge- gebenenfalls welche Eigentümer benach- teiligt und daher zustimmungspflichtig sind. Dass dies in der Praxis vom Ver- walter schlichtweg nicht geleistet werden kann, hat der BGH zwar ignoriert, lässt es aber mit den diesbezüglichen Bemü- hungen des Verwalters bewenden. Infor- miert dieser die Eigentümer im Vorfeld der Beschlussfassung über das Ergebnis
seiner Prüfung und weist auf seine dies- bezüglichen Bedenken hin, so haftet er nur für offensichtliche Fehleinschätzungen der Sach- und Rechtslage. Ferner entscheidet der BGH, dass der Beschluss über die Genehmigung einer baulichen Veränderung gem. § 22 Abs. 1 WEG mit einfacher Mehrheit gefasst werden kann. Dass daneben die Zustim- mung derjenigen Eigentümer vorliegen soll, die über das in § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt werden, wirkt sich nicht auf die Zuläs- sigkeit eines Mehrheitsbeschlusses aus. Das Zustimmungserfordernis ist keine Beschlussvoraussetzung, sondern nur Maßstab zur Beurteilung der Frage, ob der Beschluss ordnungsmäßiger Verwal- tung entspricht. Der Verwalter ist somit berechtigt, auch einen nicht mit 100% aller Stimmen gefassten Beschluss als zustande gekommen zu verkünden. Ist der Verwalter der Auffassung, dass eine nach § 22 Abs. 1 WEG notwendige Zustimmung fehlt, kann er, statt das Zu- standekommen des entsprechenden Be- schlusses zu verkünden, eine Weisung der Wohnungseigentümer imWege eines Geschäftsordnungsbeschlusses einholen. Er ist hingegen nicht ohne Weiteres be- rechtigt, einen Negativbeschluss, d.h. die Ablehnung des Beschlussantrags mangels
Vorliegen von 100% JA-Stimmen, zu verkünden.
4. Auswirkungen auf die Praxis Die Entscheidung des BGH ist zu begrü- ßen, denn sie bringt endlich die lang er- sehnte Sicherheit in Bezug auf das Ab- stimmungsverfahren bei der Genehmigung baulicher Veränderungen. Nachteilig ist indes, dass der BGH die Tatsache voll- kommen ignoriert hat, dass der Verwalter von der ihm imVorfeld der Beschlussfas- sung abverlangten Prüfung, welche Ei- gentümer benachteiligt sein könnten oder nicht, vollkommen überfordert wird. Zum Beispiel: Muss der Verwalter im Vorfeld einer Ei- gentümerversammlung, in der es um die Genehmigung einer baulichen Verände- rung geht, prophylaktisch Lärmschutz- messungen veranlassen (die zudem nur auf der Grundlage von Simulationen durchgeführt werden können), um die Frage beantworten zu können, ob und welche Eigentümer nach der Vornahme der baulichen Veränderung eventuell durch Schall-Immissionen beeinträchtigt sein könnten?Wer zahlt die entstehenden Kosten?
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BEIRAT AKTUELL 56/III-20
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