BEIRATaktuell_62
(1) Unverhältnismäßigkeit der Kos- ten Die Rechtmäßigkeit eines Beschlusses nach § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 WEG hängt somit davon ab, ob die Kosten der Maß- nahme nicht als unverhältnismäßig an- zusehen sind. Bedauerlicherweise ist der unbestimm- te Rechtsbegriff der „Unverhältnismä- ßigkeit“ vomGesetzgeber nicht konkre- tisiert worden, so dass derzeit vollkom- men unklar ist, wann ein solcher Fall vorliegt. Klar ist lediglich, dass es nicht auf die Frage einer finanziellen Überforderung des einzelnen Eigentümers oder auf dessen besondere Bedürfnisse und Le- bensumstände ankommt. Es soll vielmehr ein anlagenbezogener, objektiv-konkreter Maßstab angewandt werden, dem die besondere Struktur der gesamten Wohnungseigentümer- gemeinschaft zugrunde gelegt werden soll, also die Alters- und Sozialstruktur, Art und Alter der Anlage, deren baulicher Zustand und die finanzielle Leitungsfä- higkeit der Gesamtheit aller Eigentümer. Hieraus soll folgen, dass die Höhe der Kosten nicht unbedingt entscheidend ist, es aber regelmäßig sein dürfte, denn der Umstand, dass die Gesamtheit der Eigentümer sich eine hohe Aufwendun- gen grundsätzlich leisten könnte, soll eine Unverhältnismäßigkeit nicht aus- schließen. Verhältnismäßig sollen indes Aufwen- dungen sein, die einen Baustandard bezwecken, der sich im Vergleich mit anderenWohnanlagen in der Umgebung als üblich darstellt (vgl.: Hügel/Elzer,WEG, 3. Aufl. 2021, § 21 Rn. 26 f.; Jennißen, WEG, 7. Aufl. 2021, § 21 Rn. 46 ff.; Leh- mann-Richter/Wobst,WEG-Reform2020, § 11 Rn. 1071 ff.; SEHR/ Abramenko, Die WEG-Reform 2020, § 5 Rn. 87). (2) Die erforderliche doppelt-quali- fizierte Mehrheit Einweiteres Rechtmäßigkeitserfordernis
stellt das Erreichen einer doppelt-qua- lifizierten Abstimmungsmehrheit dar. In der Rechtsliteratur (Rechtsprechung liegt zu dieser Frage bis dato nicht vor) ist schon umstritten, ob die erforderliche Mehrheit von 2/3 der abgegebenen Stimmen (also ohne Enthaltungen, denn diese stellen keine Stimmabgabe dar, es sei denn, die Gemeinschaftsordnung regelt, dass diese als Nein-Stimmen zu werten seien) zwingend nach dem ge- setzlichen Kopfprinzip (so: Palandt/Wik- ke, BGB, 80. Aufl. 2021, § 21 WEG Rn. 3; Blankenstein,WEG-Reform2020, S. 472) oder nach dem regelmäßig in der Ge- meinschaftsordnung abweichend ver- einbarten Stimmprinzip (Miteigentum- santeile, Anzahl der Einheiten) zu ermit- teln sein soll (so hier vertretener Mei- nung nach zutreffend: Hügel/Elzer,WEG, 3. Aufl. 2021, § 21 Rn. 23 f.; Jennißen, WEG, 7. Aufl. 2021, § 21 Rn. 36; Lehmann- Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, § 11 Rn. 1068; SEHR/Abramenko, Die WEG- Reform 2020, § 5 Rn. 85). Umstritten ist weiter, ob sich aus der dem Erfordernis der 2/3-Mehrheit vor- angestelltenWendung„mehr als“ ergibt, dass mehr als 50% sämtlicher Miteigen- tumsanteile zustimmen müssen (so: Palandt/Wicke, BGB, 80. Aufl. 2021, § 21 WEG Rn. 3; Jennißen,WEG, 7. Aufl. 2021, § 21 Rn. 36; Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, § 11 Rn. 1069) oder ob mindestens 50% ausreichen (so hier vertretener Meinung nach zutreffend: Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. 2021, § 21 Rn. 23 f.; SEHR/Abramenko, DieWEG-Reform 2020, § 5 Rn. 85). Auf die Notwendigkeit eines der eigent- lichen Beschlussfassung vorgelagerten Geschäftsordnungsbeschlusses, verglei- che die vorstehenden Ausführungen unter Ziff. 3. Buchst. e) Lit. ee), ist mit Blick auf die obigen Ausführungen be- sonders hinzuweisen. Dabei sind unter Berücksichtigung der sich gleichmehrfach stellenden Proble- cc) Notwendigkeit eines Vorschalt- Geschäftsordnungsbeschlusses
me hier vertretener Auffassung nach auch mehrere solcher Vorschalt-Ge- schäftsordnungsbeschlüsse notwendig. Zunächst ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass vomVerwalter (oder einem anderen Versammlungsleiter) derzeit kaum rechtssicher geklärt werden kann, wie die jeweils erzielte doppelt-qualifi- zierte Mehrheit zu berechnen ist. Weiter kann unsicher sein, ob zu einem gem. § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 WEG inten- dierten Beschluss die notwendige Amor- tisation gegeben ist oder die nach § 21 Abs. 2 S. 1Nr. 1WEG zur Beschlussfassung anstehendeMaßnahmen nicht dochmit unverhältnismäßigen Kosten verbunden ist oder gem. § 20 Abs. 4WEG u.U. doch eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage bzw. eine unbillige Benach- teiligung einzelner Eigentümer vorliegt. Formulierungsvorschlag für Geschäfts- ordnungsbeschlüsse: Mit Blick auf die durch die Verwaltung mitgeteilten Bedenkenhinweise zum beabsichtigen Beschluss zu TOP […], wonach vom Verwalter nicht sicher festgestellt werden kann, - ob durch die zu gestattende bauliche Veränderung nicht doch eine grund- legende Umgestaltung des Objekts bewirkt bzw. - ob ein nicht zustimmender Eigentü- mer nicht doch gegenüber anderen unbillig benachteiligt sein kann, - ob eine hinreichende Amortisation der Maßnahme gegeben ist oder die Kosten der Maßnahme als unverhält- nismäßig anzusehen sind bzw. - unsicher ist, wie die erforderliche qualifizierte Beschlussmehrheit des § 21 abs. 2 S. 1 Nr. 1 WEG korrekt zu be- rechnen ist - und daher eine Beschlussfassungmit der Anfechtungsklage angegriffen werden kann, was zu einem entspre- chenden Prozess- und Kostenrisiko führen kann, werden der Beschlussfas- sung zu TOP […] folgende Geschäfts- ordnungsbeschlüsse vorangestellt:
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BEIRATAKTUELL 62/ I-22
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