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BeiratAktuell 67
BEIRATAKTUELL E n t s c h e i d e n d e I n f o r m a t i o n f ü r d e n V e r w a l t u n g s b e i r a t i m Wo h n u n g s e i g e n t u m E i n z e l p r e i s 8 , 5 5 ( i nk l . 7 % USt . )
Änderung der Kostenverteilung nach neuem Recht?
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Ausgabe: 67 Quartal II-23
i Aktuelles aus der Branche
Wichtige Urteile
Impressum BEIRATaktuell erscheint seit 2006 viertel jährlich und bietet entscheidende Infor mation für Verwaltungsbeiräte imWoh nungseigentum. Herausgeber /Verlag: Massimo Füllbeck Sachverständiger fürWohnungseigentum Sellerbeckstraße 32 45475 Mülheim an der Ruhr
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Massimo Füllbeck, Herausgeber
Redaktion: Massimo Füllbeck
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Verehrte Leserinnen und Leser,
seit dem 1.12.2020 könnenWohnungs eigentümergemeinschaften die Kosten verteilerschlüssel leichter verändern. Herr RA Fritsch beleuchtet ausführlich, welche konkreten Möglichkeiten seit der ReformdesWEG bestehen und wel che Aspekte bei der Beschlussfassung zu beachten sind. Aktuell wird ein Referentenentwurf zur erneuten Änderung des WEG-Gesetzes diskutiert. Danach soll die "reine" Online Eigentümerversammlung eingeführt werden. Darüber hinaus wird der Kata log der priviligerten baulichen Verän derung um den Punkt der Steckersola geräte (Mini-PV-Anlagen) erweitert. In dieser Ausgabe gehen wir bereits de taillierter auf beide Themen ein. Dr. Olaf Riecke (Richter a. D.) beleuchtet zwei neue Gerichtsentscheidungen zum Theme Grillen sowie zum Zweitbe schluss. Wir wünschen einen schönen Sommer und viel Spaß bei der Lektüre.
Grafische Umsetzung: Massimo Füllbeck
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Druck und Verarbeitung: D+L Printpartner GmbH
Auflage: 4.650 Stück
Preise: Einzelpreis Heft 8,55 EUR, im Jahresabo 16 EUR (4 Ausgaben, excl. MwSt. + Ver sand), ab 20 Exemplaren Jahresabo 2,40 EUR (4 Ausgaben, exkl. MwSt. und Ver sand) Datenschutz: Informationen zumDatenschutz finden Sie auf www.beirataktuell.de Urheberrecht: Die veröffentlichten Artikel sind urhe berrechtlich geschützt. Jede vom deut schen Urheberrecht nicht zugelassene Verwertung bedarf der vorherigen schrift lichen Zustimmung des Herausgebers. Dies gilt insbesondere für Vervielfälti gung, Bearbeitung, Übersetzung, Ein speicherung, Verarbeitung bzw.Wieder gabe von Inhalten in Datenbanken oder anderen elektronischen Medien und Systemen. Die unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe einzelner Artikel oder meh rerer Seiten ist nicht gestattet und straf bar. Lediglich die Herstellung von Kopi en für den persönlichen, privaten und nicht kommerziellenGebrauch ist erlaubt.
Ihr Massimo Füllbeck
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››› Aktuelles ‹‹‹ von RA Rüdiger Fritsch Änderung der Kostenverteilung nach neuem Recht? Zur Reichweite und Grenzen der Beschlusskompetenz aus § 16 Abs. 2 S. 2 WEG
de Möglichkeiten zur Änderung von Kostenverteilerschlüsseln, indes unter liegen solche Beschlüsse einer Vielzahl von Einschränkungen. Für dieVerwaltungspraxis ist die Beach tung dieseVorbehalte von entscheiden der Bedeutung, denn es gilt zu berück sichtigen, dass jede Änderung eines Kostenumlageschlüssels neben einer finanziellen Entlastung einzelner Woh nungseigentümer notwendigerweise stets auch eine finanzielle Schlechter stellung andererWohnungseigentümer bewirkt. Dies führt zu einer gesteigerten Bereit schaft der sich durch eine Änderung der Kostenverteilung benachteiligt fühlen den Wohnungseigentümer, solche Be schlüsse anzufechten und einer gericht lichen Überprüfung zu unterziehen. An dieser Stelle soll daher ein Überblick über die sich aus der Neuregelung des § 16 Abs. 2 S. 2WEG ergebenden Hand lungsoptionen der Wohnungseigentü mer zur Änderung der Kostenverteilung gegeben und deren Grenzen aufgezeigt werden. Zu unterscheiden ist hierbei zwischen zwei Fallkonstellationen: • Die Mehrheit der Wohnungseigen tümer möchte eine Änderung der Ko stenverteilung beschließen, die zu einer finanziellen Mehrbelastung einzelner Wohnungseigentümer führt und von diesen daher abgelehnt wird, so dass sich die Frage der Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens stellt. • Der einzelneWohnungseigentümer wünscht eine Änderung der Kostenver-
1. Änderung von Kostenverteiler schlüsseln im Wohnungseigentum Über kaum eine andere Frage wird in Wohnungseigentümergemeinschaften häufiger debattiert, als über die, wie die Kosten der Gemeinschaft derWohnungs eigentümer für die Verwaltung, den Gebrauch und die Erhaltung des ge meinschaftlichen Eigentums „gerecht“ zu verteilen sind. Dabei wird vielfach der Wunsch geäußert, als nicht sach dienlich empfundene Kostenumlage schlüssel durch Beschluss der Eigentü merversammlung zu ändern. a) Frühere Rechtslage Bis zum 30.6.2007 sah das Wohnungs eigentumsgesetz grundsätzlich keine Möglichkeit vor, eine im Einzelfall oder generell als nicht sachdienlich empfun dene Kostenumlage nach dem in § 16 Abs. 2WEG a.F. festgelegten gesetzlichen Kostenverteilerschlüssel (Miteigentum santeile) oder nach den in der Gemein schaftsordnung vereinbarten Kosten verteilungsregelungen durchMehrheits beschluss zu ändern. Erst mit der am 1.7.2007 in Kraft getre tenen WEG-Novelle wurde mit der Re gelung des § 16 Abs. 3 WEG a.F. die Möglichkeit geschaffen, Kostenvertei lerschlüssel durch Mehrheitsbeschluss zu ändern, dies allerdings beschränkt auf Betriebs- und Verwaltungskosten. Die finanziell viel bedeutsamere Vertei lung der Kosten der Erhaltung des Ge meinschaftseigentums konnte gem. § 16 Abs. 4 WEG a.F. nur im Einzelfall und zudem nur mit doppelt-qualifizierter Beschlussmehrheit (mit einer Mehrheit von mindesten drei Viertel aller stimm berechtigen Eigentümer, die zudem mehr als die Hälfte aller Miteigentums
anteile vertraten) geändert werden.
b) Neue Rechtslage Diese Regelungen erwiesen sich in der Praxis als zu eng angelegt, weshalb mit dem am 1.12.2020 in Kraft getretenen WEMoG durch die Neuregelung des § 16 Abs. 2 S. 2 WEG n.F. eine erweiterte Mehrheitsbeschlusskompetenz zur Än derung von Kostenverteilungsschlüsseln eingeführt wurde.
§ 16 Abs. 2 WEG Nutzungen und Kosten Satz 1:
Die Kosten der Gemeinschaft der Woh nungseigentümer, insbesondere der Verwaltung und des gemeinschaftlichen Gebrauchs des gemeinschaftlichen Ei gentums, hat jeder Wohnungseigentü mer nach demVerhältnis seines Anteils (Absatz 1 Satz 2) zu tragen. Satz 2: Die Wohnungseigentümer können für einzelne Kosten oder bestimmte Arten von Kosten eine von Satz 1 oder von einer Vereinbarung abweichende Ver teilung beschließen. Dabei suggeriert der Wortlaut des § 16 Abs. 2 S. 2 WEG, dass nun eine nahezu unbeschränkte Möglichkeit besteht, Kostenverteilerschlüssel mit einfacher Mehrheit durch Beschluss der Eigentü merversammlung zu ändern. Wie die zwischenzeitlich hierzu ergan gene Rechtsprechung nebst der vorlie genden Literatur zeigt, eröffnet die aus § 16 Abs. 2 S. 2WEG folgende Beschlus skompetenz zwar gegenüber der frü heren Rechtslage sehr viel weitergehen
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mung sich die Beschlusskompetenz nur auf die Änderung der Verteilung einzel ner Kosten oder bestimmter Arten von Kosten bezieht. Praxis-Beispiel Die Eigentümerversammlung be schließt: „Sämtliche Kosten werden ab dem 1.1.2024 nach demVerhältnis der Grö ße der in der Teilungserklärung be stimmtenWohn-/Nutzflächen verteilt.“ Von der Beschlusskompetenz des § 16 Abs. 2 S. 2WEG ausgenommen (mit der Folge der Beschlussnichtigkeit, vgl.: AG Hamburg-St. Georg, Urt. v. 13.5.2022 - 980a C 38/21 WEG, ZMR 2022, 585) ist somit die Bestimmung eines generellen allgemeinen Kostenverteilerschlüssels. § 16 Abs. 2 S. 2WEG enthält grundsätz lich nur eine Beschlusskompetenz zur Änderung von Kostenverteilerschlüsseln, d.h. nur zur Regelung der Frage, nach welchemVerhältnis die Kosten des Ge meinschaftseigentums imVerhältnis der Wohnungseigentümer untereinander im Rahmen der Jahresabrechnung um gelegt werden. Hierin nicht inbegriffen ist die Kompe tenz, zu Lasten einzelner Wohnungsei gentümer neue Anspruchsgrundlagen zu kreieren. Ein Beschluss über die Er hebung von Vertragsstrafen oder bb) Keine Kompetenz zur An spruchsbegründung
teilung, die zu seiner finanziellen Entla stung führt, was von der Mehrheit der übrigen Wohnungseigentümer abge lehnt wird, so dass sich die Frage nach der rechtlichen Durchsetzbarkeit des Verlangens des einzelnen Eigentümers stellt. 2. Der Anwendungsbereich des § 16 Abs. 2 S. 2 WEG Bevor der Frage nachgegangen werden kann, ob die Mehrheit der Wohnungs eigentümer eine Änderung der Kosten verteilung herbeiführen oder der ein zelneWohnungseigentümer eine solche ggfls. erzwingen kann, ist abzuklären, ob die gewünschte Regelung überhaupt demAnwendungsbereich des § 16 Abs. 2 S. 2 WEG unterfällt. a) Beschlusskompetenz mit einfa cher Mehrheit Der Eigentümerversammlung steht grundsätzlich die Kompetenz zu, Ko stenverteilerschlüssel mittels eines ein fachenMehrheitsbeschlusses zu ändern. Mit Blick auf den Umstand, dass in aller Regel (abweichende, gem. § 47 WEG fortgeltende Einschränkungen durch Vereinbarung ausgenommen) die Ei gentümerversammlung nunmehr unab hängig von der Anzahl der vertretenen Stimmrechte stets beschlussfähig ist, bestehen insoweit keine besonderen Hürden für das Zustandekommen eines Mehrheitsbeschlusses gem. § 16 Abs. 2 S. 2 WEG.
b) Der sachliche Anwendungsbe reich Der sachliche Anwendungsbereich des § 16 Abs. 2 S. 2 WEG ist denkbar weit gefasst, da der Beschlusskompetenz nahezu alle Kostenarten unterfallen, also nicht nur die Kosten des Gebrauchs des Gemeinschaftseigentums (Betriebsko sten) und die Kosten der Verwaltung, sondern insbesondere auch die Kosten für die Erhaltung (Instandhaltung und Instandsetzung) des Gemeinschaftsei gentums. Die Änderungskompetenz besteht auch grundsätzlich unabhängig davon, ob mangels abweichender Regelung der gesetzliche Kostenverteilerschlüssel gem. § 16 Abs. 2 S. 1 WEG (Miteigen tumsanteile), ein vormals beschlossener oder ein in der Gemeinschaftsordnung vereinbarter Kostenumlageschlüssel geändert werden soll. Zudembesteht die Möglichkeit der Än derung der Kostenumlage sowohl für den Einzelfall als auch für eine generel le Regelung. c) Ausnahmen von Anwendungsbe reich Allerdings bestehen für mehrere Kosten arten Ausnahmen vom Anwendungs bereich des § 16 Abs. 2 S. 2 WEG: aa) Keine Kompetenz zur Bildung eines allgemeinen Kostenverteiler schlüssel Zu beachten ist indes, dass nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Bestim
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verteilerschlüssels sein soll, wenn durch den neuen Umlageschlüssel zuvor an den betreffenden Kosten mitbeteiligte Eigentümer erstmalig von einer Kosten tragung freigestellt werden sollen. Nach abweichender Rechtsauffassung (und nach der Gesetzesbegründung) ergibt sich aus demweit gefasstenWort laut des § 16 Abs. 2 S. 2 WEG sowie der gesetzgeberischen Intention einer um fassenden gesetzlichenÖffnungsklausel zur Änderung der Kostenumlage, dass § 16 Abs. 2 S. 2 WEG es nunmehr auch ermöglichen soll, bislang freigestellte Eigentümer an Kosten erstmalig zu be teiligen und umgekehrt, bislang an Ko sten beteiligte Eigentümer erstmalig von diesen freizustellen. Schließlich erlaube es § 16 Abs. 2 S. 2 WEG, auch durch Vereinbarung getrof fene Kostentragungsregelungen durch Mehrheitsbeschluss zu ändern. (vgl.: Dötsch/Schultzky/Zschieschack, WEG Recht 2021, Kap. 7, Rn. 66). Höchstrichterliche Rechtsprechung zu diesemStreitfall liegt derzeit noch nicht vor, weshalb nachfolgend der aktuelle Meinungsstand der Instanzrechtspre chung und Literatur als Entscheidungs hilfe dargestellt wird. (2) Keine Mehrbelastung durch Ver einbarung von der Kostentragung freigestellter Eigentümer Die Instanzrechtsprechung und h.M. in der Literatur steht derzeit (unter Beru fung auf die noch zum alten Recht er gangene Rechtsprechung des BGH zum „Neubelastungsverbot“ bei der Ände rung der Kostenverteilung aufgrund einer Öffnungsklausel) auf dem Stand punkt, dass ein Beschluss gem. § 16 Abs. 2 S. 2WEG, der Eigentümer zur (erstma ligen) Kostentragung verpflichtet, die laut einer Vereinbarung in der Gemein schaftsordnung von diesen Kosten frei gestellt sind, mangels Beschlusskompe tenz nichtig ist (vgl.: AG Erfurt, Urt. v. 22.6.2022 – 5 C 1260/21, ZMR 2022, 826; Bär-mann/Becker, WEG, 15. Aufl. 2023, § 16 Rn. 146; Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. 2021, § 16 Rn. 47 f.).
pauschalierten Schadensersatzansprü chen (wie etwa die Erhebung einer„Um zugskostenpauschale“) ist mangels Be schlusskompetenz nichtig, da die dies bezügliche Regelung des § 21 Abs. 7 WEG a.F. mit Inkrafttreten des WEMoG ersatzlos gestrichen wurde. cc) Das Mehrbelastungsverbot Wie oben ausgeführt, besteht Beschlus skompetenz im Rahmen des § 16 Abs. 2 S. 2 WEG nur zur Änderung der Ko stenverteilerschlüssel, nicht zur Begrün dung neuer Anspruchsgrundlagen. Da nach früherer Rechtslage (s.o. zu Ziff. 1. Buchst. a) eine Beschlusskompetenz zur Änderung der Kostenverteilung überwiegend nicht bestand, hat die Praxis das Regelungsinstrument der sog. „Öffnungsklausel“ entwickelt. So findet sich inGemeinschaftsordnungen vielfach die Regelung, dass in der Gemeinschafts ordnung enthaltene Vereinbarungen ausnahmsweise durch Beschluss (übli cherweisemit einer qualifiziertenMehr heit) geändert werden dürfen. Vor Inkrafttreten des WEMoG hat der BGH entschieden, dass auch eine Öff nungsklausel es nicht gestattet, einzel nen Wohnungseigentümern Pflichten aufzuerlegen, die diesen zuvor nicht oblagen (sog. „Mehrbelastungsverbot“, vgl.: BGH, Urt. v. 10.10.2014 - V ZR 315/13, ZMR 2015, 239; BGH, Urt. v. 1.6.2012 - V ZR 225/11, ZMR 2012, 709). (1) Weitergeltung der Rechtspre chung des BGH zum „Mehrbelas tungsverbot“? Nach einer hierzu vertretenen Rechts auffassung gilt das durch den BGH po stulierte „Mehrbelastungsverbot“ auch nach neuer Rechtslage für den Anwen dungsbereich des § 16 Abs. 2 S. 2 WEG fort (vgl.: Hügel/Elzer,WEG, 3. Aufl. 2021, § 16 Rn. 47 f.). Folgt man dieser Rechtsauffassung, er gibt sich, dass die Änderung eines Ko stenverteilerschlüssels nicht zulässig sein soll, wenn durch den neuen Umla geschlüssel zuvor an den betreffenden Kosten nicht beteiligte Eigentümer erst malig zur Kostentragung mit herange zogen werden sollen. Umgekehrt ergibt sich, dass ebenso unzulässig die Änderung eines Kosten
garage errichtet wurden. Die Gemeinschaftsordnung regelt, dass 4 Wirtschaftseinheiten (Gebäude 1-3 undTiefgarage 4) gebildet werden und dass diejenigen Kosten, die einerWirt schaftseinheit eindeutig alleine zuge ordnet werden können, ausschließlich von den Eigentümern der jeweiligen Wirtschaftseinheit alleine zu tragen sind. Als eine kostenträchtige Erhaltungs maßnahme der Tiefgarage ansteht, wird be-schlossen, dass die Kosten abweichend von der Gemeinschafts ordnung von den Eigentümern aller Wirtschaftseinheiten getragenwerden sollen. Die Instanzrechtsprechung und h.M. in der Literatur steht derzeit allerdings auf dem Standpunkt, dass es umgekehrt möglich ist, durch Vereinbarung in der Gemeinschaftsordnung zur Kostentra gung verpflichtete Eigentümer durch eine Änderung der Kostenverteilung gem. § 16 Abs. 2 S. 2WEG erstmalig von der Tragung dieser Kosten zu befreien (vgl.: AGHannover, Urt. v. 20.9.2022 – 482 C 5657/21, ZMR 2023, 1011; AG Neuss, Urt. v. 13.5.2022 – 82 C 2432/21, demn. in ZMR; AG Ulm, Urt. v. 17.3.2022 – 11 C 28/21, ZMR 2022, 514). Praxis-Beispiel Die Tiefgarage der Wohnanlage weist neben einfachenPKW-Stellplätzen auch einige Mehrfachparkeranlagen (Du plexparker) auf. Die Gemeinschaftsordnung regelt, dass die Kosten der Tiefgarage von sämtli chen Stellplatzeigentümern gemein schaftlich getragen werden. Die Eigentümerversammlung be schließt, dass die nur für dieMehrfach parker anfallenden Betriebs- und Er haltungskosten ab dem 1.1.2024 nur von den Eigentümern der Mehrfach parker, untereinander nach der Anzahl der Stellflächen, getragen werden. (3) Erstmalige Kostenfreistellung möglich
Praxis-Beispiel DieWohnanlage besteht aus 3 Gebäu den, die auf einer gemeinsamen Tief
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len betroffenen dinglich Berechtigten (vgl.: BGH, Urt. v. 4.4.2003, V ZR 322/02, ZWE 2003, 259). Von einem auf Änderung der Miteigen tumsanteile gerichteten Vorgehen der Gemeinschaft derWohnungseigentümer, insbesondere einer Beschlussfassung, solltenWohnungseigentümer und Ver walter daher tunlichst Abstand nehmen (vgl.: BGH, Urt. v. 20.9.2019, V ZR 258/18, ZMR 2020, 197). Praxis-Hinweis Daher sollten auch bloß vorbereitende Maßnahmen, wie etwa die Beauftragung eines Notars mit der Errichtung eines Urkundenentwurfs zur Änderung der Miteigentumsanteile, nicht auf Kosten der Gemeinschaft derWohnungseigen tümer veranlasst werden. ff ) Änderung der Wohn-/Nutzflä chen Stellt sich heraus, dass die der Kosten verteilung zugrunde gelegten Flächen angaben (qmWohn-/Nutzfläche) unzu treffend sind, wird vielfach seitens der Wohnungseigentümer der Wunsch geäußert, diese gem. § 16 Abs. 2 S. 2 WEG abzuändern. Zu beachten ist dabei, dass in der Tei lungserklärung/Gemeinschaftsordnung erfolgteWohn- bzw. Nutzflächenzuwei sungen aufgrund ihres Vereinbarungs charakters ungeachtet etwaiger tatsäch licher Flächenabweichungen grundsätz lich verbindlich sind (vgl.: OLG Frankfurt, Beschl. v. 20.9.2006 – 20W241/05, NZM 2007, 490; LG Dortmund, Beschl. v. 3.8.2015 – 1 S 13/15, ZMR 2017, 721). Die Abänderung vereinbarter Wohn-/ Nutzflächenangaben liegt demnach außerhalb der Beschlusskompetenz des § 16 Abs. 2 S. 2 WEG (vgl.: Jennißen, WEG, 7. Aufl. 2022, § 10 Rn. 54). (2) Flächenzuweisungen ohne Ver einbarungscharakter Der Kostenverteilung nach anderen (1) Flächenzuweisungen mit Verein barungscharakter
Wohn-/Nutzflächen als den in der Tei lungserklärung aufgeführten zugrunde zu legen, ist zulässig, wenn der Beschluss -worauf bei dessen Formulierung zu achten ist- nicht auf die Änderung der vereinbarten Flächen, sondern lediglich auf die Bildung eines schlichten Kosten verteilerschlüssels gerichtet ist, dem abweichende Wohn-/Nutzflächen zu grunde gelegt werden (vgl.: LG Frankfurt/ Main, Urt. v. 17.5.2018 – 2-13 S 91/16, ZMR 2018, 789. Rechtmäßig ist ein solcher Beschluss aber nur dann, wenn die Berechnungs methode sowie die (abweichenden) Flächen -auch für Stellplätze- feststehen, d.h., dass auf eine vorliegende Wohn flächenberechnung Bezug genommen werden kann. Anderenfalls muss zunächst eine Eini gung über die anzuwendende Berech nungsmethode (WohnflächenV, DIN 283, etc.) herbei- und eine Wohn-/Nutzflä chenberechnung durchgeführt werden, was mit einem nicht unerheblichen Aufwand verbunden ist (vgl.: KG, Beschl. v. 26.11.2001, 25 W 50/01; Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. 2021, § 16 Rn. 85). gg) Vorrang der HeizkostenV Gem. § 3 HeizkostenV gelten die Rege lungen der HeizkostenV für die Gemein schaft der Wohnungseigentümer un mittelbar und stellen eine grundsätzlich vorrangige Spezialregelung für die Ver teilung der Kosten der Versorgung mit Heizwärme und/oder Warmwasser dar; einer Vereinbarung oder eines Beschlus ses über ihre Geltung bedarf es daher nicht (vgl.: BGH, Urt. v. 17.2.2012 - V ZR 251/10, ZMR 2012, 372). DieVorschriften dieser Verordnung sind auf Wohnungseigentum anzuwenden unabhängig davon, ob durchVereinba rung oder Beschluss der Wohnungsei gentümer abweichende Bestimmungen über die Verteilung der Kosten der Ver sorgung mit Wärme und Warmwasser getroffen worden sind. § 3 HeizkostenV – Anwendung auf das Wohnungseigentum
dd) Vorrang des § 21 Abs. 5 WEG für die Verteilung der Kosten baulicher Veränderungen Eine Beschlusskompetenz gem. § 16 Abs. 2 S. 2 WEG besteht gem. § 16 Abs. 3 WEG ausdrücklich nicht für eine Än derung der Verteilung der Kosten bau licher Veränderungen; für diese ist aus schließlich § 21 Abs. 5WEG anwendbar. § 16 Abs. 3 WEG – Nutzungen und Kosten Für die Kosten und Nutzungen bei bau lichen Veränderungen gilt § 21. § 21 Abs. 5 WEG – Nutzungen und Kosten bei baulichen Veränderun gen Satz 1: DieWohnungseigentümer können eine abweichendeVerteilung der Kosten und Nutzungen beschließen. Satz 2: Durch einen solchen Beschluss dürfen einemWohnungseigentümer, der nach den vorstehenden Absätzen Kosten nicht zu tragen hat, keine Kosten auferlegt werden. Vielfachwird die in der Teilungserklärung vorgenommene Zuweisung der Mitei gentumsanteile, die oftmals die Grund lage der Kostenverteilung bilden, als nicht sachgerecht empfunden und an die Verwaltung der Wunsch nach einer Änderung herangetragen. Ein solcher Eingriff in die sachenrecht lichen Grundlagen desWohnungseigen tums ist indes der Vereinbarungs- und Beschlusskompetenz der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer entzogen (vgl.: BGH, Urt. v. 18.3.2016, V ZR 75/15, NZM 2016, 387). Eine Änderung der Miteigentumsantei le setzt grundsätzlich eine notariell be urkundete Einigung der betroffenen Wohnungseigentümer nebst Erklärung der Auflassung und Eintragung im Grundbuch voraus. Erforderlich ist zu dem die Zustimmung der von einer Abschreibung von Miteigentumsantei ee) Unanwendbarkeit auf die Ände rung der Miteigentumsanteile
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durch Erklärung gegenüber den Nutzern ändern 1. bei der Einführung einer Vorerfassung nach Nutzergruppen, 2. nach Durchführung von baulichen Maßnahmen, die nachhaltig Einsparun gen von Heizenergie bewirken oder 3. aus anderen sachgerechten Gründen nach deren erstmaliger Bestimmung. Die Festlegung und die Änderung der Abrechnungsmaßstäbe sind nur mit Wirkung zumBeginneines Abrechnungs zeitraumes zulässig. Fraglich ist dabei regelmäßig (wenn die Änderungsoptionen nach Einführung einer gesonderten Nutzergruppener fassung oder nach einer energetischen Ertüchtigung des Objekts nicht vorlie gen), wann der in § 6 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 HeizkostenV genannte Auffangtatbe stand des Vorliegens eines sachlichen Grundes gegeben ist. Hierzu hat der BGH jüngst entschieden, dass sich das Vorliegen eines sachlichen Grundes bereits aus einemÄnderungs beschluss der Wohnungseigentümer gem. § 16 Abs. 2 S. 2 WEG ergibt (vgl.: BGH, Urt. v. 2.10.2020 - V ZR 282/19, ZMR 2021, 136). Insofern ist für die Änderung der Kostenumlageschlüssel der §§ 7 – 9 HeizkostenV die Beschlusskompetenz aus § 16 Abs. 2 S. 2 WEG anwendbar.
Auf die […] Verteilung der Kosten und die sonstigen Entscheidungen des Ge bäudeeigentümers nach den §§ 6 bis 9b und 11 sind die Regelungen entspre chend anzuwenden, die für die Verwal tung des gemeinschaftlichen Eigentums imWohnungseigentumsgesetz enthal ten oder durch Vereinbarung der Woh nungseigentümer getroffenworden sind. […]. Allerdings eröffnet die Verweisung in § 3 HeizkostenV u.a. eine Mehrheits-Be schlusskompetenz aus § 16 Abs. 2 S. 2 WEG für die (erstmalige) Auswahl des gem. §§ 7 – 9 HeizkostenV anzuwen denden teilweise verbrauchs- und teil weise flächenabhängigen Verteilungs maßstabs für die Heiz- und Warmwas serkosten (max. 70% nach Verbrauch / mind. 30% verbrauchsunabhängig). Eine nachträgliche Änderung dieses Verteilungsmaßstabs ist gem. § 16 Abs. 2 S. 2 WEG allerdings nur unter Beach tung der Sonderregelung des § 6 Abs. 4 HeizkostenV zulässig. § 6 Abs. 4 HeizkostenV – Pflicht zur verbrauchsabhängigen Kostenver teilung Die Wahl der Abrechnungsmaßstäbe nach Absatz 2 sowie nach § 7 Absatz 1 Satz 1, §§ 8 und 9 bleibt demGebäude eigentümer überlassen. Er kann diese für künftige Abrechnungszeiträume
3. Rechtmäßigkeit der Änderung der Kostenverteilung durch Mehr heitsbeschluss Ist die Regelungskompetenz aus § 16 Abs. 2 S. 2 WEG eröffnet, ist weiter zu betrachten, unter welchen Rechtmäßig keitsvoraussetzungen die Mehrheit der Wohnungseigentümer, gegebenenfalls gegen denWillen einzelner überstimm ter Eigentümer, eine Änderung der Ko stenverteilung durch Beschluss herbei führen kann. Nach herrschender Auffassung wird durch die Regelung des § 16 Abs. 2 S. 2 WEG den Wohnungseigentümern ein denkbar weiter Gestaltungsspielraum bei der Beschlussfassung über eine Än derung von Kostenverteilerschlüsseln eingeräumt, der grundsätzlich lediglich durch dasWillkürverbot begrenzt wird. So setzt nach herrschender Meinung die Beschlussfassung über dieVerände rung eines Kostenverteilerschlüssels grundsätzlich nicht voraus, dass der bisher geltende Kostenverteilerschlüssel einzelneWohnungseigentümer benach teiligte oder dass aufgrund sonstiger Umstände eine Neuregelung erforderlich wäre. Insbesondere bedarf es als Anlass für die Änderung eines Kostenverteiler schlüssels grundsätzlich weder eines sachlichen Grundes noch des Umstands, a) Weites Entscheidungsermessen der Wohnungseigentümer
Unsere Autoren i
Dr. Olaf Riecke
- Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht, Schwerpunkt: Wohnungseigentums- und Mietrecht sowie Makler- und Bauträgerrecht - Praktiker, Fachautor und Referent namhafter Tagungsveranstaltungen www.krall-kalkum.de RA Rüdiger Fritsch
• Schriftleiter ZMR • Richter am Amtsgericht Hamburg-Blankenese a. D. • Schwerpunkt: Miet- und Wohnungseigentumsrecht
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eine Änderung der Kostenverteilung eingegriffen werden darf. Nach der hier vertretenen Rechtsauffas sung ist ein schützenswertes Vertrauen des einzelnen Wohnungseigentümers auf die Beibehaltung eines Kostenver teilerschlüssels dann nicht tangiert, wenn die abgeänderten Verteilerschlüssel jahrelang praktiziert wurden und diese Handhabung durch Beschluss -auch für das laufende Wirtschaftsjahr- wirksam bestätigt werden soll. Dies setzt aber weiter voraus, dass ent weder einWirtschaftsplan nicht existiert oder der beschlossene Wirtschaftsplan die nun beschlossenen Verteilerschlüs sel schon vorsieht und die Jahresabrech nung noch nicht beschlossen ist (vgl.: LG Rostock, Urt. v. 02.12.2020 – 1 S 54/20, ZMR 2021, 63; LG Hamburg, Urt. v. 22.02.2013 – 318 S 32/12, ZMR 2013, 465; LG Lüneburg, Urt. v. 06.09.2011 – 9 S 30/11, ZMR 2012, 901;. AG Hamburg St. Georg, Urt. v. 19.8.2022 – 980b C 1/22 WEG, ZMR 2022, 927; a.A.: LGDüsseldorf, Urt. v. 19.4.2023 - 35 S 34/22). (2) Vertrauensschutz für die Zukunft Aus demo.G. folgt allerdings, dass grund sätzlich kein sogenannter Vertrauens schutz in dieWeitergeltung bestehender Verteilerschlüssel für die Zukunft geltend gemacht werden kann (vgl.: BT-Drucks. 19/18791, S. 55f.; BGH, Urt. v. 20.10.2020 – V ZR 282/19, ZMR 2021, 136; Dötsch/ Schultzky/Zschieschack, WEG-Recht 2021, Kap. 7 Rn. 66; Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. 2021, § 16 Rn. 64). Praxis-Beispiel Die Eigentümerversammlung be schließt am 24.5.2023: „Der Verteilerschlüssel für die Umlage der Kosten für die Reinigung des Ge mein-schaftseigentums wird mit Wir kung ab dem 1.1.2024 von Miteigen tumsteilen auf Anzahl derWohnungen geändert.“
dass der zu ändernde bisherige Vertei lerschlüssel unbrauchbar, unpraktikabel oder unbillig gewesen wäre (vgl.: BGH, Urt. v. 20.10.2020 – V ZR 282/19, ZMR 2021, 136). Mit Blick auf den Willen des Gesetzge bers, es denWohnungseigentümern zu gestatten, die Handhabung von Kosten verteilerschlüsselnmöglichst flexibel zu handhaben, ist der Eigentümerver sammlung bei Änderungen des Umla geschlüssels ein denkbar weiter Ermes sensspielraum eingeräumt. Mehrbelastungen einzelnerWohnungs eigentümer, die durch Änderungen der Kostenumlage notwendigerweise ein treten, hat der Gesetzgeber damit be wusst in Kauf genommen, die im Ein zelfall regelmäßig hinzunehmen sind (vgl.: BGH, Urt. v. 16.9.2022 –V ZR 69/21, NZM 2022, 974). Schließlich kommen, soweit Kosten nicht aufgrund von Messeinrichtungen indi viduell erfasst werden (und demgemäß im Rahmen ordnungsmäßiger Verwal tung verbrauchsabhängig abzurechnen sind), als Kriterien für eine Kostenumla ge vielfältigeMöglichkeiten in Betracht, wie z.B. die Anzahl derWohnungen, die Anzahl der Nutzungsstellen oderWohn-/ Gewerbeeinheiten, die Anzahl der Be wohner oder eben die Miteigentums anteile. Jeder dieser Schlüssel hat Vor und Nachteile und kann zu einer Vertei lung führen, die den tatsächlichen Vorteilen der Nutzung oder der Kosten verursachung innerhalb der Gemein schaft nicht entspricht (vgl.: BGH, Beschl. v. 27.9.2007 - V ZB 83/07, NZM 2007, 886). b) Rechtmäßigkeitsschranken Trotz des eröffneten weiten Entschei dungsermessens müssen sich Beschlüs se über die Änderung von Kostenver teilerschlüsseln, wie alle anderen Be schlüsse auch, an den allgemeinen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen für Beschlüsse, insbesondere den Grund sätzen ordnungsmäßiger Verwaltung,
messen lassen. Insofern bestehen nicht unerhebliche Einschränkungen, die zu beachten sind. aa) Beachtung des Vertrauensschut zes Zu berücksichtigen ist zunächst hinsicht lich der zeitlichen Reichweite einer Än derung der Kostenverteilung, dass grundsätzlich jederWohnungseigentü mer auf die Geltung einmal getroffener Vereinbarungen und Beschlüsse ver trauen darf. Unterschieden werden muss daher, ob eine Änderung der Kostenverteilungmit Wirkung nur für die Zukunft erfolgen soll oder ob auch eine Rückwirkung für die Vergangenheit erzeugt wird. Mit Blick auf den sog. Grundsatz des Vertrauensschutzes dürfen Änderungen der Kostenumlage rechtmäßiger weise grundsätzlich nur mit Wirkung für die Zukunft beschlossenwerden, insbeson dere generelle Änderungen nur mit Wirkung für den Beginn des nächstfol genden Wirtschaftszeitraums. Eingriffe in bereits bestandskräftig abgerechne teWirtschaftszeiträume scheiden dem gemäß ebenso grundsätzlich aus. (1) Vertrauensschutz für die Vergan genheit Praxis-Beispiel Die Eigentümerversammlung be schließt am 24.5.2023: „Der Verteilerschlüssel für die Umlage der Kosten für die Reinigung des Ge mein-schaftseigentums wird mit Wir kung ab dem 1.1.2023 von Miteigen tumsteilen auf Anzahl derWohnungen geändert.“ Abweichendes gilt ausnahmsweise für die Änderung unbrauchbarer oder grob unbilliger Verteilerschlüssel. Umstritten ist, ob ausnahmsweise in bereits laufende, aber noch nicht abge schlosseneWirtschaftszeiträume durch
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lastung begründet werden kann, ist der Beschluss willkürlich und rechtswidrig.
(3) Vertrauensschutz bei Zweitbe schlüssen Obwohl grundsätzlich das Vertrauens in den Fortbestand von Kostenumlage schlüsseln für die Zukunft nicht geltend gemacht werden kann, ist es jedoch nicht rechtmäßig möglich, eine zuvor beschlossene Kostenverteilung im Ein zelfall durch nachfolgenden Beschluss zu Lasten einzelnerWohnungseigentü mers wieder zu ändern. Praxis-Beispiel Die Eigentümerversammlung be schließt am19.4.2023 zur Vergabe des Auftrags zur Instandsetzung der Ab dichtung des Balkons derWohneinheit Nr. 1 (Eigentümer E): „Die Kosten der vorbeschlossenen Maßnahme werden nach dem in der Gemein-schaftsordnung vereinbarten Verteilerschlüssel nach Miteigentum santeilen auf sämtliche Wohnungsei gentümer verteilt.“ Am 24.5.2023 beschließt die Eigentü merversammlung nach Durchführung der Maßnahme: „Die Kosten der Instandsetzung der Abdichtung des Balkons derWohnein heit Nr. 1 werden unter Freistellung sämtlicher übrigen Wohnungseigen tümer nur demEigentümer derWohn einheit Nr. 1 (Eigentümer E) belastet.“ § 16 Abs. 2 S. 2 WEG untersagt es zwar nicht, eine geänderte Kostenverteilung auch nach der Durchführung der ko stenauslösendenMaßnahme zubeschlie ßen. Allerdings muss der neu gewählte Ver teilerschlüssel den Grundsätzen ord nungsmäßiger Verwaltung entsprechen. Ist mit der Beschlussfassung über eine Maßnahme zugleich auch die Kosten verteilung beschlossenworden, so steht einer nachträglichen Änderung des Ver teilerschlüssels im Regelfall das schutz würdige Vertrauen des betroffenen Ei gentümers in die zuvor getroffene Ko stenregelung entgegen.
Die bisher entwickelten Grundsätze für „abändernde Zweitbeschlüsse“ sind hier anzuwenden (vgl.: LG Frankfurt/Main, Urt. v. 15.12.2022 – 2-13 S 20/22, ZMR 2023, 216). Hiernach darf durch einen nachfolgen den Zweitbeschluss keine Änderung eines zuvor gefassten Beschlusses her beigeführt werden, wenn der einzelne Eigentümer auf den Bestand der zuvor getroffenen Regelung vertrauen durfte und sein Verhalten (z.B. Vermögensdis positionen) hierauf eingerichtet hat. Auch wenn als Anlass für die Entschei dung über die Änderung eines Kosten verteilerschlüssels an sich kein sachlicher Grund vorliegen muss (etwa, weil der bisherige Umlageschlüssel unbrauchbar, unpraktikabel oder unbillig wäre), muss sich der neu einzuführende Verteiler schlüssel an den Grundsätzen ordnungs mäßiger Verwaltung messen lassen. Hieraus folgt zunächst, dass die Neubil dung des Umlageschlüssels auf sachge rechten Erwägungen beruhen muss. Indes besteht diesbezüglich ein weites Entscheidungsermessen derWohnungs eigentümer und auch Kostenmehrbe lastungen sind -siehe oben unter Buchst. a)-, da denknotwendig jede Schlüsse länderung zu Mehr- bzw. Minderbela stungen führt, grundsätzlich hinzuneh men. Dabei ist als sachgerechter Grund für die Bildung eines neuen Kostenvertei lerschlüssels insbesondere der Maßstab eines besonderen Gebrauchs- oder Nut zungsvorteils des einzelnenWohnungs eigentümers an Bestandteilen des Ge meinschaftseigentums anerkannt. (1) Willkürverbot Eine Grenze bildet hier aber dasWillkür verbot. Basiert die neu zu beschließen de Kostenverteilung nicht auf sachlichen Erwägungen, wie etwa einembesonde ren Gebrauchs- oder Nutzungsvorteil zu Gunsten einzelner Wohnungseigen tümer, mit dem deren Kostenmehrbe bb) Vorliegen eines sachgerechten Grundes
Praxis-Beispiel DieWohnanlageWbesitzt eine anspre chend gestaltete Gartenfläche, die (ohne dass hieran Sondernutzungs rechte bestehen), überwiegend von den Eigentümerin E, F, G und H genutzt wird, was dem Umstand geschuldet ist, dass derenWohneinheiten im Erd geschoss liegen. Nutzen können die Gartenflächen ebenso die Eigentümer, derenWohneinheiten in den Oberge schossen liegen, was aber aus Bequem lichkeit so gut wie nie geschieht. Da eine kostenträchtige Neubepflan zung ansteht, wird mehrheitlich be schlossen, dass die Kosten der Maß nahme nur von den Eigentümern E, F, G und H, unterei-nander nach Mitei gentumsanteilen, zu tragen sind. Auch wenn im Rahmen des § 16 Abs. 2 S. 2WEG ein denkbar weiter Ermessens spielraum besteht, muss ein neu ge wählter Verteilerschlüssel den Grund sätzen ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen. Vorliegend ist ein exklusi ver Nutzungsvorteil der kostenbelaste ten Eigentümer nicht erkennbar. Der gewählte Verteilerschlüssel ist daher willkürlich und rechtswidrig (vgl.: AG Königswinter, Urt. v. 8.2.2022 – 31 C 6/21, ZWE 2022, 374). Obgleich eine Kostendifferenzierung nach Gebrauchs- undNutzungsvorteilen grundsätzlich möglich ist (wie z.B. eine separate Kostentragung für Doppelpar ker, Balkone oder Fenster- und Türanla gen im räumlichen Bereich des Son dereigentums, vgl.: AG Hannover, Urt. v. 20.9.2022 – 482 C 5657/21, ZMR 2023, 1011; AG Ulm, Urt. v. 17.3.2022 – 11 C 28/21, ZMR 2022, 514) und eine Ände rung der Kostenverteilung dann grund sätzlich auf einem sachlichen Ansatz beruht, kann sich aus den Umständen (2) Reine Kostenverschiebungsab sicht
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des jeweiligen Einzelfalls jedoch der vorrangige Wille zu einer einseitigen Kostenverschiebung auf einzelneWoh nungseigentümer zur finanziellen Ent lastung der Mehrheit ergeben, was nicht den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht. Dies ist insbesondere dann von Relevanz, wenn einzelne Eigentümer zur exklusi ven Tragung kostenträchtiger Erhal tungsmaßnahmen am Gemeinschafts eigentum unter Gebrauchs- und Nut zungsgesichtspunkten herangezogen werden sollen. Praxis-Beispiel Seit längerer Zeit ist bekannt, dass die Fenster der Wohnanlage marode und dringend sanierungsbedürftig sind. In den letzten Jahren wurden daher die Fenster in etlichen Wohnungen auf Kosten der Gemeinschaft erneuert. Als die notwendige Instandsetzung der übrigen Fenster nicht mehr hin ausgeschoben werden kann, wird be schlossen, dass die Kosten des Aus tauschs der verbliebenen Fenster unter Freistellung der übrigenWohnungsei gentümer zu Lasten derjenigen Eigen tümer gehen sollen, derenWohnungen neue Fenster erhalten. Zwar können dieWohnungseigentümer für einzelne Kosten oder bestimmte Arten von Kosten eine von der Gemein schaftsordnung abweichendeVerteilung u.a. nach der Möglichkeit des Gebrauchs beschließen. In diesemRahmen hält sich der o.g. jedoch Beschluss nicht. Durch den Beschluss würde sich die Kostentragungslast der betroffenen Ei gentümer vervielfachen, was der Ver teilungsgerechtigkeit widerspricht, da der Sanierungsstau bekannt war und eine Mehrzahl von Fensteranlagen be reits auf Kosten der Gemeinschaft er neuert wurde (vgl.: AG Potsdam, Urt. v. 20.10.2022 – 31 C 43/22, IMR 2023, 157).
trägt, der betroffene Eigentümer aber eineVerletzung des Gleichbehandlungs grundsatzes mit Blick darauf geltend macht, dass nicht sichergestellt sei, dass bei zukünftigen identischen Erhaltungs maßnahmen die betreffenden Eigentü mer ebenso mit den Kosten individuell belastet würden. Nach einer hierzu vertretenen Auffas sung soll der Gleichbehandlungsgrund satz bereits dann verletzt sein, wenn der einzelne Eigentümer gegenüber den übrigen Eigentümern durch einen Einzel fallbeschluss zurückgesetzt wird. Der betroffene Eigentümer müsse sich nicht darauf verweisen lassen, spätere Beschlüssewegen einesVerstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz an fechten zumüssen, er könne bereits den ihn betreffenden Einzelfallbeschluss anfechten (vgl.: LG Stuttgart, Urt. v. 20.7.2022 – 10 S 41/21, ZMR 2022, 824). Nach anderer Auffassung soll es bei ei ner Änderung eines Kostenverteilungs schlüssels imEinzelfall nicht erforderlich sein, dass bereits dieser Beschluss regelt, dass in künftigen gleich gelagerten Fäl len ein identischer Kostenverteilungs schlüssel angewandt werden wird, was den betroffenen Eigentümer auf die (zukünftige) Anfechtung eines Folgebe schlusses, der dies missachtet, verweist (vgl.: LG Frankfurt/Main, Urt. v. 30.3.2023 – 2-13 S 15/22, IMRRS 2013, 0639). In der nächsten Ausgabe geht es weiter mit: "Rechtsanspruch des ein zelnen Eigentümers auf Änderung der Kostenverteilung".
cc) Beachtung des Gleichbehand lungsgebots Da § 16 Abs. 2 S. 2 WEG nicht nur die Möglichkeit einer Änderung von Kosten verteilerschlüsseln mit genereller Wir kung für die Zukunft erlaubt, sondern auch eine Umlageschlüsseländerung im Einzelfall, stellt sich die Frage, ob recht mäßigerweisebeschlossenwerden kann, z.B. die Kosten einer Erhaltungsmaßnah me amGemeinschaftseigentum imEin zelfall unter Nutzungs- und Gebrauchs gesichtspunkten nur dem jeweiligen einzelnenWohnungseigentümer aufzu erlegen. Praxis-Beispiel Die Eigentümerversammlung be schließt am19.4.2023 zur Vergabe des Auftrags zur Instandsetzung der Ab dichtung des Balkons derWohneinheit Nr. 1 (Eigentümer E): „Die Kosten der Instandsetzung der Abdichtung des Balkons derWohnein heit Nr. 1 werden unter Freistellung sämtlicher übrigen Wohnungseigen tümer nur demEigentümer derWohn einheit Nr. 1 (Eigentümer E) belastet.“ Zwar kann gem. § 16 Abs. 2 S. 2 WEG die Kostenverteilung auch für Einzel maßnahmen geändert werden, aller dings muss der neu gewählte Verteiler schlüssel auch den Grundsätzen ord nungsmäßiger Verwaltung entsprechen. Wenn ein sachlicher Grund dafür fehlt, warumein einzelner Sondereigentümer die Kosten für die Erhaltung von Ge meinschaftseigentumalleine tragen soll, während es für die übrigenWohnungs eigentümer für identische Fälle bei der bisherigen Regelung verbleibt, liegt hierin ein Verstoß gegen die Grundsät ze ordnungsmäßiger Verwaltung. Streitig ist indes, wiemit demArgument umzugehen ist, dass die differenzierte Kostenverteilung zwar sachlichen Grün den (u.a. Gebrauchs- und Nutzungsvor teilen, siehe oben) an sich Rechnung
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››› Wohnungseigentumrecht ‹‹‹ von Dr. Olaf Riecke
Geruchsbelästigungen durch Grillen? Der von Geruchsbelästigungen betrof fene Wohnungseigentümer kann ver langen, dass sein Mitwohnungseigen tümer auf der Terrasse seinerWohnung im EG nicht an zweiaufeinanderfolgen den Tagen am Wochenende, also am Samstag und dem darauffolgenden Sonntag oder an zwei aufeinanderfol genden Sonn- und Feiertagen und ins gesamt nicht mehr als viermal imMonat grillt. demdarauffolgenden Sonntag oder an zwei aufeinanderfolgenden Sonn- und Feiertagen und insgesamt nicht mehr als viermal im Monat grillt, das Grillen auf der zu seinerWohnung gehörenden Terrasse also unterlässt, soweit es diesen Rahmen überschreitet.
im Freien auf der zur EG-Wohnung ge hörenden Terrasse befindet. Für die Beeinträchtigung kommt es nicht darauf an, ob sich die Bewohner des 2. OG ge rade zu Hause befinden. Praxis-Tipp: Die Gemeinschaft sollte mit einfachem Mehrheitsbeschluss bei Zerstrittenheit oder aufkommendem Streit das Grillen in zeitlicher Hinsicht einschränken durch präzise Regelungen, die auch die Ent fernung des Grills von der Fassade des Gebäudes und die Art des Grillgeräts (Elektro- Grill oder Holzkohle-Grill) be rücksichtigen. Anmerkung der Redaktion: Bitte beachten Sie, dass stets der jewei lige Einzelfall berücksichtigt werden muss. Grundsätzlich kann jeder Woh nungseigentümer selbständig seine Abwehransprüche geltend machen, sofern sein Sondereigentum oder Son dernutzungsrecht (z. B. Garten) betrof fen ist.
DaVereinbarungen und Beschlüsse, die das Grillen innerhalb der GdWE regeln, nicht existieren, besteht ein Unterlas sungsanspruch gem. § 14 Abs.2 Nr. 1 WEG i.V. mit § 14 Abs.1 Nr. 2 WEG nur insoweit und liegt damit auch eine Be einträchtigung i.S. des § 1004 Abs.1 BGB nur insoweit vor, als es durch das Grillen im Bereich der zur EG-Wohnung gehö renden Terrasse oder Gartenfläche zu einer Beeinträchtigung des Sonderei gentums im 2. OG kommt, die über das bei einemgeordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgeht. Ob das der Fall ist, hängt von den Um ständen des Einzelfalls ab. In einem gewissen Umfang ist das Grillen als so zialadäquatesVerhalten erlaubt und sind die damit einhergehenden Beeinträch tigungen durch Gerüche daher hinzu nehmen.Wann das zulässige Maß über schritten ist und ein übermäßiges Grillen vorliegt, welches zu einer nicht mehr hinzunehmenden Beeinträchtigung führt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Maßgebend für die Beur teilung sind u.a. der Standort des Grills, die Häufigkeit des Grillens und das ver wendete Grillgerät. Der Umstand, dass sich die Geruchsbelästigungen der Mit wohnungseigentümer durch Grillen! Das Grillen hervorgerufenen Gerüche nicht wesentlich von Gerüchen unter scheiden, die sonst beim Kochen ent stehen, schließt eine Beeinträchtigung i.S. des § 14 Abs.2 Nr. 1WEG und § 1004 Abs.1 BGB nicht aus. Bei der Beurteilung ist vielmehr auch zu berücksichtigen, ob die Gerüche imBe reich des Sondereigentums im 2. OG dadurch deutlicher wahrnehmbar und daher störender sind, dass sich der Grill
LG München I, Urteil vom 1.3.2023, Az.1 S 7620/22
Der Fall: Der Eigentümer der EG-Wohnung wur de vom Miteigentümer der Wohnung im2. OG u.a. darauf in Anspruch genom men, dass dieser das Grillen (Elektrogrill) im Garten oder auf der Terrasse, soweit die Häufigkeit über ein mehr als 5-ma liges Grillen im Jahr hinausgeht, hilfs weise soweit die Häufigkeit über ein mehr als 2-maliges Grillen im Monat hinausgeht, unterlässt. Eine Unterlas sungserklärungwurde nicht abgegeben. Das Problem: Ist das Grillen und sind die hierdurch verursachten Beeinträchtigungen durch Rauch und Essensgerüche in einemge wissen Umfang (wenn Ja: welchem?) als sozialadäquatesVerhalten hinzunehmen und überschreiten daher insoweit das bei einemgeordneten Zusammenleben Unvermeidliche daß nicht? Ist der Umstand, dass sich die durch das Grillen hervorgerufenen Gerüche nicht wesentlich vonGerüchen unterscheiden, die sonst beimKochen entstehen, dann von Bedeutung? Die Entscheidung des Gerichts: Gem. § 14 Abs.2 Nr. 1 WEG und § 1004 Abs.1 BGB kann derWohnungseigentü mer des 2. OG von demMiteigentümer im EG verlangen, dass dieser auf der Terrasse seiner Wohnung im EG nicht an zwei aufeinanderfolgenden Tagen amWochenende, also am Samstag und
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››› Wohnungseigentumrecht ‹‹‹ von Massimo Füllbeck
Erneute Änderung des WEG-Gesetz steht bevor!
Es gibt einen Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz, wonach in Kürze eine weitere Änderung des Wohnungseigentumgesetzes (letzte Änderungen fanden am1.12.2020 statt) angestrebt wird. Nach demWohnungseigentumsgesetz (WEG) können Wohnungseigentümer versammlungen derzeit lediglich als Präsenzversammlungen abgehalten werden oder in hybrider Form stattfin den, also als Präsenzveranstaltung mit Online-Teilnahmemöglichkeit. Eine "rei ne" Online-Eigentümerversammlung ist nur möglich, wenn sämtlicheWohnungs eigentümer eine entsprechendeVerein barung getroffen haben. In der Praxis kommen Vereinbarungen allerdings so gut wie nie stande, da sämtliche Woh nungseigentümer diese Vereinbarung unterzeichnen müssen. Es ist daher geplant, dass dieWohnungs eigentümer mit mindestens drei Vierteln der abgegebenen Stimmen beschließen können, dass dieVersammlung innerhalb eines Zeitraums von längstens drei Jah ren ab Beschlussfassung ohne physische Präsenz derWohnungseigentümer und desVerwalters an einemVersammlungs ort stattfindet oder stattfinden kann (virtuelle Wohnungseigentümerver sammlung). Die virtuelle Wohnungsei gentümerversammlung muss hinsicht lich der Teilnahme und Rechteausübung mit einer Präsenzversammlung ver gleichbar sein. Beispiel: Erscheinen zur Eigentümerversammlung 5 von 100Wohnungseigentümern und stimmen von den 5Wohnungseigentü mern 4 für die Online-Eigentümerver sammlung, würden zumindest drei Jahre "reine" Online-Eigentümerver sammlung stattfinden können. 1. Einführung einer "reinen" Online Eigentümerversammlung
In dem geplanten Gesetz finden sich hierzu folgende Hinweise: "Nach § 23 Absatz 2aWEG-E können die Wohnungseigentümerinnen und -ei gentümer mit mindestens drei Vierteln der abgegebenen Stimmen beschließen, dass die Versammlung innerhalb eines Zeitraums von längstens drei Jahren ab Beschlussfassung ohne physische Prä senz derWohnungseigentümer und des Verwalters an einem Versammlungsort stattfindet oder stattfinden kann (virtu elle Wohnungseigentümerversamm lung). Die virtuelle Wohnungseigentü merversammlungmuss hinsichtlich der Teilnahme und Rechteausübung mit einer Präsenzversammlung vergleichbar sein. Entscheiden sich die Wohnungseigen tümerinnen und -eigentümer für virtu elleWohnungseigentümerversammlun gen, so haben sie nach § 23 Absatz 2a WEG-E dieWahl, entweder zu beschlie ßen, dass Versammlungen nur noch als reine Online-Versammlungen durchge führt werden („stattfindet“), oder dass sie auch als reineOnline-Versammlungen durchgeführt werden können („stattfin den kann“), es mithin einer weiteren Entscheidung hierzu bedarf. Einen vergleichbaren Gedanken enthält § 118a des Aktiengesetzes (AktG). Be schließen dieWohnungseigentümerin nen und -eigentümer, dass Versamm lungen rein online durchgeführt werden können, so können sie das konkrete Format für bevorstehendeVersammlun gen durch Geschäftsordnungsbeschlüs se regeln. Treffen sie keine solche Rege lung, entscheidet die Verwalterin oder der Verwalter nach pflichtgemäßem Ermessen über die Art der Durchführung. Der Entwurf sieht ein Quorum von 75 Prozent der in der Wohnungseigentü merversammlung abgegebenen Stim
men vor. Mit diesem hohen Quorum wird der besonderen Bedeutung Rech nung getragen, die das Wohnungsei gentum typischerweise für viele Woh nungseigentümerinnen und -eigentü mer hat. Das vorgesehene 75-Prozent-Quorum orientiert sich an der Rechtslage im Ak tienrecht.Wie dasWohnungseigentums gesetz geht auch das Aktiengesetz davon aus, dass Präsenzversammlungen der Regelfall sind. Die Satzung einer Akti engesellschaft kann allerdings virtuelle Hauptverhandlungen vorsehen (§ 118a AktG). Satzungsänderungen bedürfen nach demAktiengesetz eines Hauptver sammlungsbeschlusses mit einer Mehr heit von mindestens drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals (§ 179 AktG). Spricht sich in einerWohnungseigentü merversammlungmindestens eine Drei viertelmehrheit für reine Online-Ver sammlungen aus, ist das ein starkes Indiz dafür, dass in dieser Gemeinschaft die Präsenzversammlung nicht für das vorzugswürdige Versammlungsformat gehalten wird. Die vorgeschlagene Befristung auf drei Jahre übernimmt den Befristungsge danken aus dem Aktienrecht (§ 118a AktG) und verfolgt mehrere Zwecke. Erwerberinnen und Erwerber vonWoh nungen sollen nicht für unbestimmte Zeit an eine vor dem Erwerb erfolgte Beschlussfassung gebunden werden. Die Befristung trägt auch der Tatsache Rechnung, dass sich die Haltung der Wohnungseigentümer zu virtuellenVer sammlungen ändern kann. Virtuelle Wohnungseigentümerver sammlungen müssen hinsichtlich Teil nahme und Rechteausübung mit Prä senzversammlungen vergleichbar sein.
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dar. Aus diesemGrund bedarf es für ihre Zulässigkeit eines Beschlusses imSinne von § 20 Absatz 1 WEG. Weil es in der Praxis teilweise schwierig ist, die erfor derliche Mehrheit für einen solchen Beschluss zu erlangen, soll der Katalog der sogenannten privilegierten Maß nahmen in § 20 Absatz 2 Satz 1WEG um die Stromerzeugung durch Steckerso largeräte erweitert werden. § 20 Absatz 2 Satz 1 WEG begründet einen Indivi dualanspruch jederWohnungseigentü merin und jedesWohnungseigentümers auf Gestattung der dort genannten baulichenVeränderungen, sofern diese angemessen sind. Besteht dieser Anspruchauf Beschlussfas sung, haben dieWohnungseigentüme eigentümer lediglich hinsichtlich der Durchführung der Maßnahme einen Entscheidungsspielraum. Eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage im Sinne von § 20 Absatz 4WEGwird bei der Installation von Stek kersolargeräten regelmäßig nicht vor liegen, und zwar auch dann nicht, wenn solche Geräte von mehreren oder gar allen Einheiten installiert werden. Stromerzeugung durch Steckersolarge räte stellt eine gute Möglichkeit für Wohnungseigentümer dar, sich teilwei se selbst mit Solarstrom zu versorgen und so ander Energiewende teilzuhaben. Unter Steckersolargeräten werden ge mäß den technischen Normen des Ver bandes der je einemPhotovoltaik-Modul, einemnetzgekoppeltenWechselrichter, einer Anschlussleitung und einemStek ker zum Anschluss an Endstromkreise bestehen. Die vorgeschlagene Regelung in § 20 Absatz 2 Satz 1WEG verzichtet bewusst auf konkrete technische Vorgaben. Solche könnten sich angesichts des
Technisch erfordert dies die Durchfüh rung einer Videokonferenz (Zwei-Wege Audio- undVideoverbindung in Echtzeit), Versammlungen in einem Chat oder Telefonkonferenzen kommen nicht in Betracht. Hinsichtlich der Rechteausübung be deutet dies, dass die Wohnungseigen tümerinnen und -eigentümer alle Rech te ausüben können müssen (etwa Re derecht, Fragerecht, Recht zur Antrag stellung, Stimmrecht)." Fazit: Das Aktienrecht mit demWohnungsei gentumsgesetz zu vergleichen, erschließt sich dem Unterzeichner nicht. Selbstverständlich soll es zukünfitgmög lich sein, "reine Online-Eigentümerver sammlungen" einzuführen. Das steht außer Frage. Das Quorum von mindestens drei Vier teln der abgegeben Stimmen ist (da seit dem 1.12.2020 grundsätzlich die Be schlussfähigkeit weggefallen ist) nach hier vertretener Auffassung viel zu nied rig. In den meistenWohnungseigentümer gemeinschaften wird es ein Kinderspiel werden, die "reine" Online-Eigentümer versammlung einzuführen. Es soll eine neue privilegierte bauliche Veränderung eingeführt werden. Danach kann jeder Wohnungseigentümer eine angemessene bauliche Veränderung verlangen, die der Stromerzeugung durch Steckersolargeräte dient. Hierzu enthält der Entwurf folgende Hinweise: Die Installation eines Stecker solargerätes („Balkonkraftwerk“) stellt in der Regel eine baulicheVeränderung 2. Balkonkraftwerke, Mini-Photovol taikanlagen
technischen Fortschritts sowie sich än dernder Normen und Definitionen schnell als überholt erweisen. Beispielsweise überarbeitet der VDE derzeit seine relevanten Normen zu Steckersolargeräten. Er beabsichtigt, die technischen Anfor derungen an Steckersolargeräte zukünf tig in einer neu zu schaffenden Pro duktnormdetailliert zu regeln (DINVDE V 0126-95). Fazit: Angesichts der aktuellen Entwicklungen (siehe auch geplante Änderung im Ge bäudeenergiegesetz GEG) eine längst überfällige Änderung.
Wir werden weiter berich ten und Sie in der nächs ten Ausgabe informieren,
wenn die geplanten Änderungen in Kraft getreten sind.
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